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Dr. Friedemann Prose: „Es bringt nichts, den schwarzen Peter hin und her zuschieben“

Juni 27, 2012

Die technische und wirtschaftliche Debatte auf Veranstaltungen wie dem BDEW Kongress ist richtig und wichtig. Doch letztlich findet die Energiewende nicht nur in Tagungshotels statt. Es heißt also mitmischen, „Marktmacht ausüben“ und die Energiewende vorantreiben. politikorange hat mit Dr. Friedemann Prose, Privat-Dozent für Sozial- und Umweltpsychologie aus Kiel gesprochen.

Foto: Anja Vigenschow

Herr Dr. Prose, wie ist Ihrer Meinung nach die aktuelle „Gefühlslage“, also die Voraussetzung, der Gesellschaft zum Thema „Nachhaltigkeit“ und erneuerbaren Energien?

Ich glaube, dass das Problembewusstsein in der Gesellschaft weit verbreitet ist. Allerdings werden die Konsequenzen des anthropogenen Klimawandels häufig nur mit der Sahel-Zone oder den Eisbären in der Arktis verbunden. Man denkt: das sind ja schwerwiegende Probleme, aber fühlt sich nicht direkt betroffen. Den Menschen muss ihre eigene potentielle Verletzbarkeit aufgezeigt werden.

Teils entsteht das Gefühl, als ob die Energiewende nur Angelegenheit von Politik und Wirtschaft wäre. Viele verlieren den Anschluss bei den Debatten. Inwiefern werden das Problem und die Konsequenzen überhaupt anschaulich und konkret vermittelt?

Die Energiewende wird häufig als Fachproblem betrachtet. Die Komplexität des Themas führt dazu, dass die Bürger die Informationsflut nicht mehr verarbeiten können und abschalten. Doch es bringt nichts, den schwarzen Peter immer hin und her zuschieben. Jeder Einzelne muss Verantwortung für die zukünftigen Generationen übernehmen.

Foto: Mariesol Fumy

Nichtsdestotrotz gibt es aber Barrieren, die Menschen davon abhalten, eine Photovoltaikanlage auf dem Dach zu installieren oder vermehrt zu Fuß zu gehen. Wie können Menschen also zu einer Verhaltensänderung überzeugt werden?

Für zahlreiche Aktivitäten braucht man beispielsweise kein Auto. Dabei kann sogar eine doppelte Motivation entstehen: Denn man tut auch etwas für seine Gesundheit. So wird eine Intention zum Handeln entwickelt. Wichtig ist allerdings, dass die Diskrepanz zwischen Plan und Handeln abnimmt, je konkreter der Plan ist. Man muss sich also ein genaues Ziel festsetzen, wie im nächsten Monat ein Drittel weniger mit dem Auto zu fahren.

Bei der Realisierung kommt der „sozialen Verpflichtung“ eine hohe Bedeutung zu. Denn wenn ich Anderen von meinem Vorhaben erzähle, werden sie fragen: „Hast du’s denn gemacht?“ Eine Erfolgsrückmeldung ist außerdem elementar: Für das Durchhalten gibt es ein Lob, andernfalls muss man sich fragen: „Woran lag es, dass ich das Auto nicht stehenlassen konnte?“ Schließlich erwischt sich jeder bei unsinnigen Verhaltensweisen, wie zum Brötchen holen um die Ecke zu fahren.

Inwiefern sehen Sie die Energiewende als eine politische Aufgabe an?

Politik und Wirtschaft können bloß an der Preisschraube drehen. Doch das führt häufig nur dazu, dass sich die Bürger an die Preise anpassen und gegebenenfalls in anderen Bereichen sparen. Das ist beispielsweise beim Benzinpreis passiert.

Die subjektive Norm, also welche Überzeugung der Einzelne über das von ihm erwartete Verhalten hat, ist sehr wichtig. Daher sollten soziale Marketing-Kampagnen im jeweiligen Umfeld ansetzen.

In kommerzialisierter Form geschieht das zum Beispiel bei Tupperware: Man selbst überzeugt Leute, die man kennt, durch eigene Erfahrungen. Die Diskussion um die Energiewende, Stromsparen sowie erneuerbare Energien ist sehr technisch, abstrakt und somit unverständlich. Im individuellen Rahmen kann man das direkte Gespräch zum Beispiel am Gartenzaun suchen, sich auf die Menschen einstellen. Der Rat vom Nachbarn spricht oft mehr an als eingekauftes Ingenieurwissen.

Ein schönes Beispiel ist das Projekt „Nordlicht – Soziales Marketing zur Förderung ökologischer Initiativen“ zum Thema Ökostrom, das eine Seminargruppe des psychologischen Instituts der Universität Kiel vor einigen Jahren erarbeitete.

Man sollte sich nicht fragen ‚Wie verändere ich mal schnell die Welt?‘ sondern ‚Wie verändere ich ein paar Leute, die ich kenne‘.

Foto: Karin Fehringer

Wie schätzen Sie die Energiewirtschaft als Akteur ein? Bremsen die Unternehmen durch beispielsweise die Klage auf Ersatzzahlungen für die Enteignung der Atomkraftwerke?

Ich hoffe, dass diese Klage abgewimmelt wird. Obwohl die Unternehmen natürlich schauen, wo sie noch einen Euro herholen können. Aber in jedem Fall ist ein solches Verhalten unmoralisch und kontraproduktiv. Das muss auch so in der Gesellschaft dargestellt werden.

Sie schreiben, dass die Nachfrageseite durch verbesserte Organisation und Information Druck auf die Angebotsseite ausüben kann. Geschieht das in der Realität?

Unsere Marktwirtschaft wird häufig über die Angebotsseite definiert. Wenn wir aber die Nachfrageseite verändern, beeinflusst das auch die anbietenden Unternehmen. Ein Beispiel ist Ökostrom. Immer mehr enthusiastische Menschen haben diesen nachgefragt, sodass schließlich Anbieter wie e.on reagierten.

Das gilt auch für die Politik. Wenn Politiker merken, dass die Leute in ihrem Engagement effizient sind, werden auch sie etwas in dieser Richtung tun, und wenn es nur plakativ ist. Schließlich tun sie das, was wir als potentielle Wähler wollen. Dies funktioniert im kommunalen Bereich am Besten. Natürlich sind die EU- und die Welt-Ebene wichtige Ebenen, aber die Kommunalpolitiker sind leichter zu erreichen und in der Regel empfänglicher. Hier ist konkrete Einflussnahme möglich.

Nichtsdestotrotz fürchten 91 Prozent der Verbraucher, dass die Energiepreise durch die Energiewende steigen werden.

Wir müssen uns die Energiewende etwas kosten lassen, sonst werden die Konsequenzen irreversibel sein. So etwas kriegt man doch nicht zum Nulltarif.

Wie stehen Sie in diesem Kontext zu dem naheliegenden Ansatz der finanziellen Anreize?

Das ist unter dem Aspekt der Dauerhaftigkeit falsch. Natürlich ist die Politik hier immer schnell dabei, da können Punkte gesammelt werden. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass nur etwa zehn Prozent der Verbraucher vom Preis geleitet werden. Der Rest hat eine „Mischmotivation“. Allein die eigene Überzeugung führt zu einer dauerhaften Verhaltensänderung. Wir unterschätzen uns selbst und unsere Mitmenschen, wenn wir uns nur auf den Preis als Instrument fixieren, es zählen vor allem soziale Motive.

Hierfür ist aber unerlässlich, dass sich die Bürger nicht ausgebeutet fühlen. Die Verbraucher dürfen der Politik ruhig nachdrücklich auf den Fuß treten. Denn diese muss effiziente Kontrollmechanismen einsetzen, um übertriebener und ausbeutender Preisgestaltung wie beispielsweise in der Benzin-Branche entgegenzuwirken.

Über Friedemann Prose

Dr. Friedemann Prose (geb. 1944) ist Diplom-Psychologe und Privatdozent am Institut für Psychologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Sozial- und Umweltpsychologie. Friedemann Prose veröffentlichte mehrere Beiträge zu psychologischen Themen im sozialen Kontext und leitete u.a. das Klimaschutzprojekt „Nordlicht“.

Autor: Kay Litzinger

Kay Litzinger

Redakteur Kay Litzinger. Foto: Sebastian Czub

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